Gregory Bateson
Auf den Spuren ökologischen Bewußtseins

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Gregory Bateson

Auf den Spuren ökologischen Bewußtseins
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Anfänge

Einleitung

In der Mitte des 20. Jahrhunderts vollzog sich ein Umbruch innerhalb der Wissenschaften, dessen Bedeutung bis heute noch nicht abzusehen ist: Er führte zu einer Veränderung der Bio- und Sozialwissenschaften und lieferte zugleich auch die Grundlagen für Chaostheorie, Robotik und Computerwissenschaften. Es handelt sich hierbei um die Kybernetik, entstanden aus der fruchtbaren Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachbereiche und untrennbar verbunden mit Namen wie Norbert Wiener, John von Neumann, Warren McCulloch und Heinz von Foerster. Kybernetik ist die Wissenschaft der "Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine", so Wiener im Jahre 1948.

Mit der Kybernetik wurde erstmals ein fundiertes Verständnis der Funktionsweise des menschlichen Körpers wie auch der gesamten belebten Welt ermöglicht. Ohne sie und ihre benachbarten Entwicklungen der Spiel- und der Informationstheorie gäbe es kein Internet, keinen Herzschrittmacher, keinen Industrieroboter, weder Antiblockiersystem noch Raumfahrt. Die zentrale Idee, welche all dies ermöglichte und die rasch technologisch nutzbar gemacht wurde, war die schlichte Erkenntnis, daß in allen biologischen Systemen Rückkopplungskreisläufe bestehen,daß dort also die Auswirkung einer Handlung zu einer Ursache für weitere Handlungen wird. Die Kybernetik unterscheidet hierbei insbesondere zwischen einer positiven und einer negativen Rückkopplung. Bei einer positiven Rückkopplung wird eine Abweichung verstärkt, während bei einer negativen Rückkopplung einer Abweichung entgegengesteuert wird. Als Beispiel für letztere wäre etwa die Erhaltung der Balance beim Fahrradfahren anzuführen. Ein mittlerweile klassisches Beispiel für erstere ist das Wettrüsten zwischen den USA und den UdSSR nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Untrennbar verbunden mit den kybernetischen Ideen ist auch das Lebenswerk des anglo-amerikanischen Anthropologen Gregory Bateson (1904–1980), Teilnehmer der zehn Kybernetik-Konferenzen in New York von 1946 bis 1953 und einer der ersten, welche die kybernetischen Erkenntnisse im sozialen Bereich umsetzten: Schon 1951 veröffentlichte Bateson eine in ihrer Bedeutung lange unerkannte Theorie der menschlichen Kommunikation. Er entwickelte in der Folgezeit eine Reihe von kybernetisch inspirierten Konzepten, die schließlich zum Entwurf einer kybernetischen Erkenntnistheorie führten. Innerhalb dieser thematisierte er Fragen geistiger Gesundheit und Krankheit ebenso wie die fortschreitende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die Möglichkeit einer gesünderen, weil ökologisch angepaßteren Weise des Erkennens und Handelns: Möglichkeiten des Überlebens im Angesicht eines immer wieder ausgeblendeten drohenden ökologischen Desasters.

Batesons Lebenswerk erstreckt sich über einen Veröffentlichungszeitraum von über fünf Jahrzehnten. Die vielfältigen Stationen seines Lebens und sein facettenreiches Denken sind bisher noch keiner sie in ihrer Gesamtheit umfassenden Analyse unterzogen worden. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, diese Lücke in der Forschungsgeschichte zu schließen. In ihr soll die Entwicklung von Batesons wissenschaftlichem Lebensweg von seinen Anfängen in der ethnologischen Feldarbeit auf Neu-Guinea bis zum Ende in Form einer Synthese von Geist und Natur nachverfolgt werden. Somit stellt diese Studie zunächst einmal eine Wissenschaftsbiographie dar, in der Batesons anscheinend zielloser Weg durch ein halbes Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen in seiner inneren Entwicklungslogik zur Darstellung gelangt. Darüber hinaus soll zudem über den Nachvollzug von Batesons Theorieentwicklung eine kritische Einführung in die von ihm vertretene systemische Theorie gegeben werden. Des weiteren sollen einige, von Bateson nur unzureichend thematisierte Fragen, eine weitere Analyse erfahren. Und schließlich soll die Relevanz des von Bateson formulierten wissenschaftlichen Entwurfs zur Diskussion gestellt und verteidigt werden. Es wird also ein Standpunkt innerhalb der zu entfaltenden Diskussion eingenommen werden.

Warum gerade Bateson? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Er hat die Erkenntnisse der Kybernetik mit einer Konsequenz in den sozialen Bereich umgesetzt, die bis heute ihresgleichen sucht. Er hat mit seiner kybernetischen Erkenntnistheorie einen philosophischen Entwurf vorgelegt, der einen wegweisenden Ansatz zur Überwindung überkommener wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Leitbilder liefert. Des weiteren ist eine Arbeit über Bateson auch deswegen längst überfällig, weil er, abgesehen von einigen Bereichen wie etwa der Familientherapie bisher trotz – oder gerade wegen? – seines weitreichenden Einflusses auf Systemtheorie, Konstruktivismus, systemische Therapie und Ökologie viel zu wenig bekannt ist. Und schließlich, weil er fasziniert, weil er für die Sozialwissenschaften zumindest Ansätze dessen liefert, was die Kybernetik bereits für die Naturwissenschaften erbrachte: Ansätze einer systemischen Theorie.

Diese Arbeit ist in vier Teile und sechzehn Kapitel unterteilt. Die Inhaltsanalyse von Batesons Werk erstreckt sich über die ersten drei Teile und umfaßt zwölf Kapitel. Sie folgt den wesentlichen Stationen von Batesons Theorieentwicklung. Der vierte Teil beinhaltet vier Kapitel und dient interpretativen Zwecken. Im Anhang findet sich eine tabellarische Biographie Batesons. Die Abfolge der Kapitel ist weitgehend chronologisch. Die Unterteilung der Inhaltsanalyse in drei Teile folgt zwei wesentlichen Ereignissen. Das erste besteht in der bereits erwähnten Entwicklung der Kybernetik. Durch sie wird der erste Teil, Vor der kybernetischen Wende, konstituiert. Dieser Teil umfaßt drei Kapitel und reicht von Batesons wissenschaftlichen Anfängen über seine ethnologischen Forschungsarbeiten bis hin zu den Kulturstudien während des 2. Weltkrieges. Das zweite Ereignis liegt in Gestalt von Batesons Bewußtwerdung um jenen zuvor verborgenen roten Faden vor, dem er die ganze Zeit über gefolgt war. Dies vollzog sich gegen Ende des Jahres 1969. Der dadurch abgegrenzte zweite Teil dieser Arbeit, Im Zeichen der Kybernetik, ist mit sechs Kapiteln der umfangreichste. In ihm wird nach einer kurzen Skizze der Entwicklung der Kybernetik Batesons Weg durch die Kommunikationstheorie, durch die Erforschung von Paradoxien der Kommunikation bei Mensch und Tier und der Entwicklung seines systemischen Entwurfs bis hin zur Ökologie des Geistes nachverfolgt werden. Der abschließende dritte Teil, Grundzüge einer Naturgeschichte des belebten Geistes, umfaßt nochmals drei Kapitel, in denen die weitere Entwicklung von Batesons Theorie in den siebziger Jahren geschildert wird. Dies gipfelt in seinem Spätwerk, Geist und Natur, sowie einem nicht mehr vollendeten Buchprojekt, Wo Engel zögern. Bateson starb am 4. Juli 1980.

Im Vorfeld dieses Projektes wurde neben einer ersten, unveröffentlichten Arbeit (Lutterer 1995), eine intensive, dreimonatige Materialrecherche im Bateson-Archiv in Santa Cruz, Kalifornien, durchgeführt. Dies erbrachte sehr wertvolle Erkenntnisse und Einsichten, die wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Trotzdem ist dieses Material, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur in den Hintergrund der Argumentation eingeflossen. Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen hat Bateson, so zumindest laut Rodney Donaldson, Archivar seines Nachlasses, großen Wert auf eine strikte Trennung zwischen gesprochenem und geschriebenem (d.h. veröffentlichtem) Wort gelegt. Zum anderen aber hat dies auch methodische Gründe. Mit der weitgehenden Beschränkung auf das veröffentlichte Werk konnte eine sinnvolle Abgrenzung des zu bearbeitenden Materials gewährleistet werden. Sie ermöglicht eine solide Basis für die Analyse von Batesons Gesamtwerk in der von ihm selbst vollzogenen Akzentuierung.

Das veröffentlichte Werk Batesons umfaßt insgesamt rund 230 Titel, deren Umfang von weniger als einer Seite bis zu ganzen Büchern reicht. Das Schwergewicht dieser Veröffentlichungen liegt auf Aufsätzen. Dies stellt neben einigen Rückbezügen auf das unveröffentlichte Material und die Bateson-Biographie von David Lipset die unmittelbare Basis der folgenden Ausführungen dar.

Im zweiten und im dritten Teil der Inhaltsanalyse wurde aufgrund der hohen inneren Dichte der reflektierten Argumentation auf den direkten Einbezug von Sekundärliteratur weitgehend verzichtet. Sie findet dort – im Gegensatz zum ersten Teil – nur punktuell statt. Dafür aber werden einige ausgewählte Rezeptionsbereiche im abschließenden vierten Teil in einem eigenen Kapitel näher erörtert. Die einzelnen Kapitel sind in einer kontinuierlichen Abfolge entwickelt und geschrieben worden. Ein selektives Lesen dieser Arbeit dürfte damit ohne entsprechende Vorkenntnisse auf Schwierigkeiten stoßen.

Zur Methodik dieser Studie sei angemerkt, daß darin zunächst Bateson selbst zu Wort kommen wird. Es wird eine zusammenfassende Darstellung seines Denkens im Nachvollzug seiner zeitlichen Entwicklung durchgeführt. Mit dem darin bereits angedeuteten Interesse an einer konsistenten Darstellung dieser Theorie wird es nicht ausbleiben, Teile von Batesons Argumentation einer kritischen Neubewertung und einer dementsprechenden Rekonstruktion durch andernorts erworbene Einsichten und Erkenntnisse zu unterziehen. Damit wird eine Pointierung vollzogen werden, die sich von Aussagen Batesons teilweise absetzt.

Diese Arbeit wurde als Mischung zweier verschiedener, ineinander verwobener Analysestrategien konzipiert: Einmal in Gestalt des bereits genannten kritischen Nachvollzugs der Theorieentwicklung, dann aber auch in Form einiger vertiefender Einzelanalysen wie etwa zu Batesons Umsetzung der Kybernetik, der Double-bind-Theorie und dem Begriff des Geistes. Diese werden ergänzt durch Analysen zum Problem der Macht, dem Verhältnis von Zirkularität zu Kausalität und eine Sammlung von Batesons vielfältigen Analysen sozialer Pathologien. Im 13. Kapitel findet sich überdies eine Auflistung von über fünfzig relevanten Ideen, Theorien und Positionen Batesons, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann (Nukleus).

Was die Zitierweise anbelangt, so wird im Text jeweils auf das Jahr der Erstveröffentlichung verwiesen. Für den Fall, daß nach einer späteren Veröffentlichung zitiert wurde, ist dies über das Literaturverzeichnis ersichtlich. Dieses Verfahren ermöglicht, eine jeweilige Aussage direkt auf ihren zeitlichen Kontext beziehen zu können und dürfte sich als hilfreich erweisen für wissenschaftsgeschichtliche Interessen bezüglich der Entwicklung kybernetischen Denkens. Eine besondere Behandlung in diesem Rahmen erfahren die Aufsätze, die in der Aufsatzsammlung Ökologie des Geistes (Bateson 1972a) wiederveröffentlicht wurden. Hier markiert ein Stern (*), daß sich die angegebene Seitenzahl direkt auf die deutsche Übersetzung dieses Buches bezieht. Zitate wurden sämtlich in deutscher Übersetzung wiedergegeben und zwar auch dann, wenn keine entsprechende Übersetzung vorlag. Dies sollte nicht nur für fremdsprachlich nicht so versierte Leser den Lesefluß verbessern, sondern auch eine angemessene inhaltliche Übertragung zur Verfügung stellen. Dies ist bei Bateson nicht immer unproblematisch.

Ich möchte an dieser Stelle danken für die hilfreichen Gespräche mit Rodney Donaldson, Mark Engel, Heinz von Foerster, Peter Harries-Jones und Helm Stierlin, des weiteren an Rita Bottoms, Carol Champion und ihren Mitarbeitern in den Special Collections der McHenry Library in Santa Cruz, wo das Bateson-Archiv untergebracht ist, sowie an Mary Catherine Bateson. Dank gilt auch dem DAAD, dessen Stipendium den Aufenthalt in den USA ermöglichte und der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg, durch welche die Niederschrift dieser Arbeit unterstützt und somit auch erst ermöglicht wurde. Gedankt sei insbesondere meinem Doktorvater Wolfgang Eßbach, sowie Patrick Blumschein, Gerhard Borchert, Stefan Deppe, Hans Rudi Fischer, Thomas Fischer, Abel Halbach, Elmar Himmel, Oliver Kaiser, Odine Oßwald, Kai Petersen, Barbara Schmitz und Markus Vosteen, die diese Arbeit ganz oder in Teilen gelesen haben bzw. für diverse Nachfragen zur Verfügung standen. Gedankt sei schließlich auch den uneigennützigen Entwicklern des Computersatzsystems TeX , mit dessen Hilfe diese Arbeit gesetzt wurde. Eine geringfügig längere Fassung dieser Arbeit ist im Dezember 1998 an der Universität Freiburg als Dissertation eingereicht worden.

Freiburg, im Januar 2000


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