Gregory Bateson
Auf den Spuren ökologischen Bewußtseins

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Gregory Bateson

Auf den Spuren ökologischen Bewußtseins
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Anfänge

Kapitel 1: Anfänge

a) Die ersten Jahre
b) Tod
c) Das 20. Jahrhundert

In diesem Kapitel werden einige Kontexte zu Batesons wissenschaftlichem Lebensweg dargestellt. Nach einer Schilderung des familiären Hintergrundes, der Jugend und der ersten Mannesjahre, wird ein Schwenk auf seinen Tod vollzogen und somit die elf Kapitel umfassende Darstellung von Leben und Werk vom Anfangs- und Endpunkt her aufgegriffen. Den Daten zu seinem persönlichen Lebensweg folgen einige allgemeinere Kontexte in Form eines kurzen Abrisses des wissenschaftlichen und des sozialen Wandels, der das 20. Jahrhundert in der westlichen Welt bestimmt hat. Die biographischen Angaben zu Bateson folgen der Biographie von David Lipset (Lipset 1980).

a) Die ersten Jahre

Gregory wurde am 9. Mai 1904 als drittes und letztes Kind von William und Beatrice Bateson geboren. Er war ein familiärer Nachzügler, der mit fünf Jahren Abstand auf seine beiden Brüder folgte. Geboren wurde er in Grantchester, einem kleinen Dorf nahe der alten englischen Universitätsstadt Cambridge. Dort verbrachte er seine ersten sechs Lebensjahre, bis die Familie nach Merton an der Peripherie von London übersiedelte.

Er scheint ein kränkliches Kind gewesen zu sein. Man vermutete, daß seine Lungen schwach waren, und so wurde er 1913 auf ein Internat an der Küste von Kent geschickt. Damit sollte zugleich auch eine angemessenere Umgebung für den Akademikersohn geschaffen werden, als es die Arbeitersiedlung Merton bieten konnte. Fünf Jahre später, er war 14, wurde er in ein Internat geschickt. Er verließ das Internat 1922 und verbrachte einige Monate in der Schweiz, um dort Französisch zu lernen.

In demselben Jahr begann er sein Studium in Cambridge entsprechend den elterlichen Erwartungen in der Zoologie. Dies verlief zunächst auch sehr vielversprechend. 1924 wurde er von seinem Vater zur Untersuchung von Abweichungen im Federkleid von Rebhühnern in das Britische Museum nach London und nach Genf geschickt, um im dortigen Museum einige Exemplare dieser Vögel zu untersuchen. In Genf verliebte sich Gregory in die Tochter seines Gastgebers, man sprach sogar von Heirat, was durch Gregorys eilig herbeigereiste Eltern jedoch unterbunden wurde: Das Mädchen erschien ihnen als nicht standesgemäß.

Zu Beginn des Jahres 1925 reiste der junge Bateson auf die Galapagos-Inseln. Dort war neunzig Jahre zuvor Charles Darwin zu seiner Theorie der Entstehung der Arten inspiriert worden. Für Gregory war dieser Aufenthalt allerdings eine eher frustrierende Erfahrung. Sein Unmut über das Studium und seine Zukunft als Zoologe wuchs. Wieder zurück in England beschloß er nach einer Begegnung mit dem Ethnologen Haddon, in die Ethnologie überzuwechseln, einer zu jener Zeit noch sehr jungen Disziplin: Mit systematischer Feldforschung war in England erst um die Jahrhundertwende begonnen worden, die zwanziger Jahre waren geprägt vom Funktionalismus von Malinowski und Radcliffe-Brown.

Schon 1927 brach Bateson zu einer ersten Feldforschung auf, die ihn nach Neu-Guinea zu dem Volk der Baining brachte. Bateson verbrachte zehn anscheinend wenig ergiebige Monate bei den Baining. Frustriert gab er die Forschung auf und versuchte sich statt dessen bei einem benachbarten Küstenvolk, den Sulka. Dort verbrachte er weitere fünf Monate. Jedoch verlief auch dort die Forschungsarbeit kaum gewinnbringender für ihn, er wurde zunehmend deprimiert.

Im Februar 1929 gelang es ihm, auf Einladung eines Schiffskapitäns den Sepik, einen breiten Fluß in Neu-Guinea, hinaufzusegeln. Dort stieß er auf die Iatmul, einem Volk von Kopfjägern, das damals erst kurz zuvor von der australischen Verwaltung unterworfen worden war. Diese erweckten sofort sein Interesse. Er war fasziniert von der Härte ihrer Kultur, gab die Sulka auf und lebte sechs Monate bei den Iatmul. Erst im Frühjahr 1930 kehrte er wieder nach Cambridge zurück. Sein Bericht über die Iatmul, im Umfang von einhundert Seiten, bildete den Abschluß seiner Studienzeit. Als dieser 1932 veröffentlicht wurde, war Bateson 28 Jahre alt und bereits wieder unterwegs zu einem weiteren, längeren Aufenthalt bei den Iatmul.

Die Brüder

Gregorys Brüder hießen John und Martin. Sie waren wie Zwillinge aufgewachsen, da die beiden 1898 und 1899 geborenen Geschwister nur ein Jahr trennte. John und Martin waren sehr naturliebend. Gemeinsam suchten sie nach Käfern, Schmetterlingen oder Fossilien, wozu sie später auch ihren kleinen Bruder Gregory mitnahmen. Ihren Eltern war ihr enges Miteinander zuviel. Sie wurden mit 14 voneinander getrennt, indem sie auf verschiedene Internate geschickt wurden.

John, der ältere der beiden, schloß seine Schulzeit 1916 ab. Er war ein vielversprechender Schüler gewesen, hatte den Schulpreis in Biologie gewonnen und schien somit in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er trat allerdings in demselben Jahr in den Krieg ein. Er starb nur einen Monat vor dem Waffenstillstand, als während eines deutschen Artillerieangriffs eine Granate direkt vor seinen Füßen explodierte.

Martin war ebenfalls naturwissenschaftlich begabt, sah jedoch in der Wissenschaft nicht seine Bestimmung. Schon im Internat hatte er damit begonnen, Gedichte zu schreiben. Nach Kriegsende und dem Tod seines geliebten Bruders begann er in einer Haltung der Schicksalsergebenheit ebenfalls ein Studium der Biologie, da dies den elterlichen Erwartungen entsprach. Damit war er zwar nicht glücklich, erwies sich jedoch trotzdem als begabt. 1921 wechselte er in einem Akt von kaum verhüllter Revolte gegen die Eltern in eine Dramatikerschule. Er verliebte sich in eine junge Schauspielerin, die ihn abwies, was ihn aber nicht daran hinderte, ihr weiterhin den Hof zu machen.

Martins Tod hat theatralische Züge. Am Geburtstag seines getöteten Bruders unternimmt er einen letzten Versuch, das Mädchen für sich zu gewinnen. Er scheitert darin und kehrt in sein Zimmer zurück, wo für diesen Fall schon ein Revolver bereitliegt. Er nimmt die Waffe und erschießt sich, mitten am Nachmittag nahe einer Eros-Statue auf dem Piccadilly Circus in London fast zeitgleich mit Johns Geburtsstunde. Dies geschah im April 1922. Die beiden Söhne, auf welchen William Batesons Hoffnungen geruht hatten, waren tot.

Die Mutter

Gregorys Mutter, eine geborene Caroline Beatrice Durham, war gleich zweimal mit William verlobt. Das erste Mal, im Jahr 1889, wurde die Verlobung sofort nach der Verlobungsfeier wieder gelöst, da William in den Augen von Beatrice' Mutter zu viel trank. Weder Beatrice noch William wußten damals, daß der Vater von Beatrice Alkoholiker und ihre Mutter daher in dieser Beziehung sehr argwöhnisch war.

Es vergingen über sechs Jahre, bis sich die beiden wiederbegegnen sollten. In der Zwischenzeit waren die Eltern von Beatrice gestorben. Sie veröffentlichte in einem populären Magazin eine Kurzgeschichte, welche eine an William gerichtete innere Botschaft enthielt. Dieser las zwar derlei Magazine nicht, erfuhr jedoch einige Monate darauf von der veröffentlichten Erzählung seiner ehemaligen Verlobten. Wenig später kam es zu einem Wiedersehen, die Verlobung wurde erneuert. 1896 heirateten die beiden.

Beatrice bewunderte ihren Gatten. Sie selbst war von einem zurückhaltenden und selbstkritischen Wesen. Sie half William bei seiner Forschungsarbeit und gebar 1898 den ersten Sohn, John; 1899 den zweiten, Martin und 1904 den dritten, Gregory.

1926 starb William Bateson. Für Beatrice verblieb aus ihrer Familie nur noch ihr jüngster Sohn. Dieser aber ergriff zunächst einmal die Flucht in ethnologische Feldarbeit. Beatrice starb 1941. An ihrem Begräbnis konnte Gregory nicht teilnehmen, da der 2. Weltkrieg den internationalen Reiseverkehr begrenzte.

Der Vater

Als Beatrice ihren dritten Sohn gebar, war William Bateson gerade auf dem Feld und enthülste Erbsen. Auf die Nachricht, daß auch sein drittes Kind wieder ein Junge sei, meinte er nur: "Zu schade. Ich mag sie gemischt wie die Küken" (Lipset 1980, 47).

William Bateson war Biologe und hatte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf des führenden Anti-Darwinisten Englands verschafft. Als im Jahr 1900 die Vererbungstheorie von Gregor Mendel wiederentdeckt wurde, war er sich der Bedeutung von dessen Kreuzungsversuchen sogleich bewußt. Mendel hatte schon 1865 – jedoch ohne größere Beachtung – gezeigt, daß Vererbung sich über die Kombination elterlicher Merkmale vollzieht. William Bateson wurde Mendels wichtigster Fürsprecher in der englischsprachigen Welt. Zu Ehren des Mönchs ließ er seinen dritten Sohn auf den Namen Gregory taufen: "Gregory war eine menschliche Fußnote der Verehrung seines Vaters für den Augustinermönch und ein außenstehender Dritter zu der Vertrautheit seiner Brüder" (ebd., 47). Williams Kampf für Mendels Entdeckung trug ihm zunächst jedoch keine größeren Ehren ein. Dreimal bewarb er sich um eine Professur und wurde jedesmal abgelehnt.

Im Jahre 1905 prägte er den Namen, unter dem die Disziplin auch heute noch bekannt ist: Genetik. Zwei Jahre später reiste er in die USA, wo er mit Neugier und Beifall empfangen wurde. Mit der fortschreitenden Diskussion um die Erkenntnisse der Genetik gewann er auch in England langsam an Anerkennung. Eine gesicherte Existenz bot sich ihm jedoch erst 1910, als ihm die Leitung eines neugegründeten Gartenbauinstituts in Merton übertragen wurde. Als zwei Jahre später Cambridge ihm endlich einen Lehrstuhl für Genetik anbot, lehnte er ab.

Sein Forschergeist erfüllte die ganze Familie. Das Haus ähnelte einem Museum und draußen vollzog sich das Leben inmitten von Erbsenfeldern, Gewächshäusern und Hühnerställen. Gegenüber seinen drei Söhnen drückte William seine Vaterschaft vorrangig über die Lehre von Wissenschaft aus. Im Hause Bateson war man zwar nicht gläubig, lebte dafür aber in voller Hingabe zum Intellekt. William sorgte auch für eine literarische Erziehung seiner Söhne. Täglich las er ihnen vor, meist aus dem Alten Testament, aber auch aus Bunyan und Shakespeare. Seine Kinder sollten nicht als "leerköpfige Atheisten" aufwachsen. In dem Batesonschen Familienleben gab es allerdings eindeutige Prioritäten: Zuerst kamen die Hühner, dann die Erbsen und schließlich, dem Alter nach, die drei Jungen.

Die Sprache der Genetik war ab 1910 allgemein wissenschaftlich akzeptiert worden. William hätte sich nunmehr der endlich erfolgten Anerkennung erfreuen können. Die bisherige wissenschaftliche Einsiedelei war ihm zu jener Zeit allerdings schon zur Gewohnheit geworden, die wachsende Anerkennung daher unangenehm. Er begann, seinen Skeptizismus gegen die eigenen Forschungsergebnisse zu richten und fing an, nach Ausnahmen von Mendels Gesetzen zu suchen.

Nach dem Krieg ergab er sich der Melancholie: Sein ältester Sohn war tot, und er fürchtete, mit Mendel allzu lange der falschen Spur gefolgt zu sein. Nachdem er sich durch den Selbstmord von Martin auch des zweiten Sohnes beraubt sah, rückte der bisher im Schatten stehende Gregory in den Mittelpunkt familiärer Erwartung.

1924 kehrte William zu morphologischen (d.h. Form und Gestalt betreffenden) Interessen seiner Jugend zurück und zog hierbei seinen letzten Sohn hinzu. Dieser hatte damals gerade sein zweites Jahr im Biologiestudium abgeschlossen und wurde zur Recherche ins Britische Museum nach London und in die Schweiz nach Genf geschickt.

Nachdem Gregorys Interesse an der Biologie immer schwächer geworden war und er schließlich den Entschluß zum Wechsel in die Ethnologie gefaßt hatte, begründete er dies, wissend um Fragen der Familientradition, sehr sorgfältig. William akzeptierte den Entschluß, denn er sah ihn als vernünftig begründet an. Ein Buch Malinowskis legte er jedoch entsetzt beiseite, nachdem er darin lesen mußte, wie die Trobriander eine Beutelratte bei lebendigem Leibe rösteten. 1925 bereiste er ein zweites und letztes Mal Rußland. Er war fasziniert von der Revolution, zog sich danach aber eine akute Bronchitis zu. Seine Gesundheit verschlechterte sich und er erlitt schließlich eine Herzanfall. Im Februar 1926 starb er, im Alter von 65 Jahren.

Eine erste Veröffentlichung

Die 1925 veröffentlichte Diskussion über Abweichungen in der Befiederung von Rothühnern (Alectoris rufa rufa) ist eine der letzten Veröffentlichungen von William Bateson, und es ist die erste von Gregory Bateson (W. u. G. Bateson 1925). Vater und Sohn berichten darin über Variationen in Form und Farbgebung, welche sie in zwei Varietäten unterteilen. Die Beschreibungen der Hühnervögel stammen von Gregory.

Für die Ursachen der vorgefundenen Variationen wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert und verworfen. Die Summe der Abweichungen, welche die Hühner aufwiesen, erwies sich jedoch als zu komplex, als daß sie auf eine einfache Ursache hätte zurückgeführt werden können. Somit stellt der Bericht in erster Linie eine Dokumentation von Ergebnissen zoologischer Forschung dar, deren ornithologische Bedeutung an dieser Stelle nicht gedeutet werden kann. Man wird jedoch in diesem Aufsatz gewiß auch einen Akt der wissenschaftlichen Initialisierung des Sohnes durch den Vater sehen können.

b) Tod

"Gregory Bateson ist nicht wichtig. Wichtig ist, vom Ich loszukommen.
Wichtig ist, von unserer Idee über das, was wir sind, loszukommen [...]

Ich denke zuletzt an die Asche Gregorys, in dem kleinen Pappkarton.
In langem Zug wanderten wir hinunter zu den Gezeitentümpeln unterhalb des großen Hauses.
Wir waren über die Felsen verstreut wie jene Scharen von großen Vögeln,
die Gregory so gern beobachtete, wenn er von den Heilbädern langsam nach Hause ging.
Heute waren wir eine solche Schar.
Reb, der Zenpriester, öffnete den Karton und streute etwas Asche hinaus in das Meer.
In dem Augenblick kam ein Windstoß und blies uns die staubfeine weiße Masse ins Gesicht.
Partikel von Gregory im Haar, in den Brauen, im Bart,
machten wir kehrt und stiegen wieder die Klippe empor"
(Nachmanovitch 1983, 70f).

Bateson starb am 4. Juli 1980 im Alter von 76 Jahren. Eine Lungenentzündung hatte sich zu einer letztlich tödlichen Erkrankung ausgeweitet, nachdem er schon 1970 ein Lungenemphysem und 1978 Lungenkrebs überstanden hatte. Die in seiner Kindheit geäußerte Befürchtung, er habe schwache Lungen, hatte sich somit bewahrheitet. Allerdings war er auch lange starker Raucher gewesen.

Mit seinem Tod war ein Wissenschaftlerleben zu Ende gegangen, welches sich wie eine kleine Odyssee liest und dessen verborgener innerer roter Faden Bateson selbst erst mit 65 Jahren gefunden hatte. Sein letztes Lebensjahrzehnt war geprägt von Studien zu den Ursachen der ökologischen Krise. Er entwickelte eine kybernetische Erkenntnistheorie, in der er versuchte, mit Hilfe eines sehr eng verstandenen Begriffs von Geist eine Synthese zu fassen, in welche eine kybernetisch interpretierte Evolutionstheorie ebenso einbezogen wurde wie die Bedeutung von Ästhetik und Religiosität.

c) Das 20. Jahrhundert

Batesons Leben erstreckt sich über knapp acht Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Dieses war in den Wissenschaften von einer Serie von Umbrüchen gekennzeichnet, welche die unterschiedlichsten Bereiche betrafen und zum Teil revolutionierten oder neu entstehen ließen. Diese wissenschaftlichen Umbrüche stehen zugleich in enger Verbindung zum technischen Wandel und haben somit die menschliche Lebenswelt in hohem Maße beeinflußt und verändert. Die hier erfolgende Schilderung von einigen dieser Umbrüche dient dem Zweck einer provisorischen Bestandsaufnahme des wissenschaftlichen und des sozialen Wandels. Das Schwergewicht dieser skizzenhaften Schilderung wird entsprechend den Lebensdaten Batesons auf der ersten Hälfte des Jahrhunderts liegen.

Wissenschaftlicher Wandel

Zunächst zur Biologie: Schon 1809 veröffentlichte Jean B. de Lamarck eine biologische Evolutionstheorie, in welcher er davon ausging, daß eine Evolution der Arten vorlag, die über die Weitergabe erworbener Eigenschaften erfolgte. Fünfzig Jahre später (1859) griff Charles Darwin diesen Gedanken wieder auf und ergänzte das Konzept Lamarcks um die Idee der Selektion. Darwin gilt damit weithin als Begründer der Evolutionstheorie. Schon einige Jahre später, 1865, veröffentlichte Gregor Mendel seinen Bericht über Kreuzungsversuche mit Erbsen. Dieser blieb in seiner Bedeutung zunächst unerkannt, läutete jedoch zur Jahrhundertwende mit seiner Wiederentdeckung das Zeitalter der Genetik ein. Damit schließt sich in der Biologie ein erster Kreis: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Genetik als Disziplin begründet und damit auch die Evolutionstheorie weiterentwickelt.

In der Physik wurde durch Albert Einstein die Relativität von Raum und Zeit sowie die Identität von Masse und Energie erkannt. Werner Heisenberg verdeutlichte in der Quantenmechanik mit der Unschärferelation, daß das Verhalten kleinster Teilchen unvorhersagbar, weil nur statistisch erfaßbar sei. Die moderne Physik löste sich damit nicht nur von althergebrachten Vorstellungen bezüglich der Materie, sie gab auch den Gedanken eines streng determinierten und somit objektiv erfaßbaren Universums auf. Statt dessen ergab sich eine grundlegende Relativität: Die Wahrnehmung und Beschreibung des Raumes erwies sich als abhängig von der Stellung des Beobachters, ebenso wie die Messung des Zustands elementarer Teilchen.

In der Psychologie begann Sigmund Freud um die Jahrhundertwende die Bedeutung des Unbewußten für das menschliche Bewußtsein zu erkennen. Er entwickelte eine Triebtheorie, in der er zwischen Eros und Thanatos unterschied. In der weiteren Entwicklung der Psychologie, Freud eingeschlossen, wurde das anfangs in seinem Innenleben als isoliert betrachtete Individuum zunehmend in seiner Einbettung im sozialen Raum thematisiert. Eine atomare, reduktionistische Sicht wurde zugunsten einer komplexeren, relationalen Sichtweise aufgegeben – eine zumindest in theoretischer Hinsicht seit Mitte des Jahrhunderts erzielte Position.

In der Soziologie wurde Schritt für Schritt damit begonnen, die Verhaftung menschlicher Vorstellungen im gesellschaftlich Vorgefundenen zu erklären: Max Weber dokumentierte die Bedeutung der protestantischen Ethik für die Entwicklung kapitalistischen Denkens, Emile Durkheim ergründete soziale Ursachen für den Selbstmord, Norbert Elias analysierte die Entwicklung von Scham und Peinlichkeit sowie Prozesse der Staatenbildung, Pierre Bourdieu schließlich deckte in neuerer Zeit die Abhängigkeit von Geschmacksurteilen von sozialer wie kultureller Schichtenlage auf. Wissenschaftliche Leitbilder hatten es jedoch schwer in diesem Fach.

In einer fruchtbaren interdisziplinären Zusammenarbeit erblickte Mitte des Jahrhunderts die Kybernetik das Licht der Welt. Sie erwies sich als eine derart universelle Methode, daß es ihr letztlich nicht gelang, sich als eigenes wissenschaftliches Fach zu etablieren: Nachdem kaum eine Wissenschaft an dem Erkenntnisgewinn durch die Beschreibung über Zirkularität und Rückkopplung vorbeigehen konnte, wurde das kybernetische Gedankengut weiträumig aufgenommen und mit seiner Hilfe die Beengtheit der alten monokausalen Denkmodelle überwunden. Dieser Umbruch zeigt sich besonders bei jenen Fachgebieten, die sich mit biologisch-sozialen Phänomenen befassen: Begriffe wie Lernen oder Erfahrung sind kaum sinnvoll beschreibbar ohne einen Rückgriff auf Rückkopplungsprozesse.

Als wissenschaftliche Leitdisziplin wird mittlerweile die Biologie angesehen. Sie hat durch ihr Wissen um die mögliche genetische Veränderung des Lebens die Physik in dieser Rolle abgelöst. Nach Jahrtausenden menschlicher Zucht von Tieren und Pflanzen ist es möglich geworden, direkte Manipulationen am Erbgut von Flora und Fauna wie auch am Menschen selbst vorzunehmen. Nach langer Zeit einer "bloß" handwerklichen Umgestaltung der Erde eröffnet sich eine neue Dimension von Veränderungen. Die Möglichkeiten der Biotechnologie gehen dabei Hand in Hand mit Fragen möglicher Sozialtechnologie, einer schönen neuen Welt.

Sozialer Wandel

Parallel zu den wissenschaftlich-technologischen Veränderungen vollzog sich ein sozialer Wandel, und was dabei in welcher Weise das andere bedingte, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung. Das 20. Jahrhundert war auch eines der großangelegten sozialen Experimente.

Während sich vielerorts demokratische Regierungssysteme durchzusetzen begannen, wurde in Rußland der Sozialismus und in Deutschland ein Tausendjähriges Reich ausgerufen. Diese beiden stellen vermutlich die umfangreichsten sozialen "Experimente" des Jahrhunderts dar. Zumindest die europäische Geschichte haben sie tiefgreifend beeinflußt: Das sowjetische System bescherte dem Land unter Stalin ein ausgedehntes System von Straflagern sowie Millionen von Toten. Der Faschismus in Deutschland suchte alles an menschlichem Leben, Denken und Fühlen auszurotten, was nicht in den Horizont des "Führers" paßte. Diesen beiden sozialen Experimenten war neben ihrem Scheitern gemeinsam, daß unter der Führung der Psychopathen Stalin und Hitler eine solche Zahl an Menschen getötet wurde, daß das Zählen selbst zu einem fragwürdigen Unterfangen geriet. Unter die Voraussetzungen für diese beiden "Experimente" können, neben der Entwicklung technischer Errungenschaften wie dem Radio, auch die fortgeschrittene Bürokratisierung und die Entstehung sozialtechnologischen Wissens angesehen werden.

Technologie erreichte in verschiedenster Weise den sozialen Raum. Sie veränderte das tägliche Leben ebenso wie das politische. Der 1. Weltkrieg führte zum Einsatz von Giftgas und brachte die ersten umfangreichen Materialschlachten mit sich, der zweite u.a. die Atombombe. Gleichzeitig mit den wachsenden Problemen aufgrund des Bevölkerungswachstums und der zunehmenden wirtschaftlichen und ökologischen Verflechtung der Staaten der Erde entstehen weitere Problembereiche: Neben dem noch offenen Potential der neuen Biologie eröffnet sich die Fragwürdigkeit eines Informationszeitalters, in welchem eine noch subtilere Form der Gleichschaltung droht, als es den Nazis gelingen konnte.

Zu Bateson

Beide Weltkriege haben für Bateson eine Rolle gespielt: Im ersten verlor er einen seiner Brüder, am zweiten nahm er selbst teil, indem er für die USA an der psychologischen Kriegsführung in Süd-Ost-Asien mitarbeitete. Zudem warf ihn der 2. Weltkrieg aus seinem bisherigen ethnologischen Fahrwasser.

Auf die Entwicklung atomarer Waffen reagierte er wie viele andere mit Ablehnung, da er sie als Bedrohung menschlicher Existenz erkannte. Die ökologische Krise beantwortete er mit einem weitgespannten Ansatz zu einer Neuverortung menschlichen Denkens und Handelns. Als Lehre aus seinen eigenen Erfahrungen in den Kriegstagen nahm er zudem eine radikale Verweigerungshaltung gegen jeglichen Einsatz von Sozialtechnologie und der Ausübung von Macht ein. Bateson nahm teil an der Entwicklung und der Verbreitung des kybernetischen Denkens und lieferte dadurch zahlreiche Impulse für die Sozialwissenschaften – für die Psychologie ebenso wie die Soziologie.

Inwieweit Batesons Kindheitserfahrungen eine Rolle für seinen späteren Lebensweg spielten, dürfte ein bloßer Gegenstand der Spekulation sein. Man wird mit derartigen Analysen zumindest dann erfolgreich sein, wenn man die 'passenden' Aspekte aus der Kindheit auswählt und die anderen entsprechend außer Acht läßt – ein zwar wenig wissenschaftliches, dafür aber um so gebräuchlicheres Verfahren. Was nunmehr 'paßt', wäre dieses: Es hat für Bateson gewiß eine Rolle gespielt, aus einer alten englischen Akademikerfamilie zu entstammen. Der über den Vater erfolgte frühe Kontakt mit biologischem Denken und Forschen war gewiß ebenfalls bedeutungsvoll. Trefflich spekulieren ließe sich auch über seine Rolle als dritter von drei Söhnen: Als lange Zeit vernachlässigter familiärer Nachzügler war er vielleicht sensibilisiert für Fragen des sozialen Gefüges. Auch der frühe Tod seiner beiden Brüder dürfte keine unerhebliche Rolle gespielt haben – und so verbinden sich familiäre und allgemeinere Ereignisse zu individueller Lebensgeschichte.

Die beiden nachfolgenden Kapitel bilden zusammen mit diesem ersten das Fundament dieser Arbeit. Batesons Forschungsschwerpunkte bis zur Entwicklung der Kybernetik wurden unter die Titel Ethnologische Forschung und Studien zum Kulturvergleich zusammengefaßt.


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